Was am Ende bleibt? Ein Sammelsurium an Bildern, die man vielleicht in zehn Jahren nochmals anschaut und die Frage, wo das eigentlich genau war und was man auf besagter Reise überhaupt wirklich, richtig, wahrhaftig und intensiv mit allen Sinnen erlebt hat. Und plötzlich kommt sie. Die Erkenntnis, dass man zwar während der Reise hundert verschiedene Sehenswürdigkeiten abgeklappert hat, man aber keinen einzigen Moment mal ausharrte, um den Augenblick zu genießen und das, was da um einen herum passiert, auf sich wirken zu lassen.
Slow Travel
Immer mehr Weltenbummler streben deshalb danach, ihre Reisen bewusster zu erleben und mehr Zeit an einem Ort zu verbringen, in den man so voll und ganz eintauchen kann, statt To-Do-Listen mit Sehenswürdigkeiten oder anderen Dingen abzuklappern, die man auf der Reise unbedingt sehen und erleben möchte. Die Slow Travel Bewegung wurde geboren. Aber was bedeutet das eigentlich, dieses Zeit auf Reisen zu haben?
Zeit auf Reisen zu haben ist etwas, dass dir die Freiheit lässt, so lange du möchtest an einem Ort zu verweilen. Stell dir nur einmal vor wie es wäre, wenn du statt alles in Akkordgeschwindigkeit abzugrasen, wirklich Zeit hättest, die Stadt, in der du gerade bist, mit ihren Menschen, ihrer Kultur und all ihren Facetten und ihrer Umgebung zu erforschen und intensiv zu erleben. Wenn du genau das tust bietet sich dir die einmalige Chance, wirklich in diesen Ort einzutauchen und ihn zu erleben. Du bekommst einen Eindruck davon, wie das Leben dort ist, wie die Uhren dieses Fleckchens Erde ticken und lernst die Mentalität der Menschen, die dort leben, kennen. Du bist offen gegenüber allem, was dir während deiner Zeit dort begegnet und lässt dich einfach einmal treiben, statt irgendwelchen Listen und Insidertipps auf anderen Reisebloggs oder in Reiseführern nachzujagen. Und das Schöne daran: Indem du dich auch einmal bewusst verläuft bekommst du die Möglichkeit, über den eigenen Tellerrand zu schauen und entdeckst Plätze, die du nie gefunden hättest, wenn du dich an die Tipps aus dem Reiseführer gehalten hättest.
Grundsätze von Slow Travel
Das langsame Reisen basiert dabei aber nicht nur darauf, seine Reise zu entschleunigen, sondern dahinter steckt noch viel mehr. Es ist ein Grundsatz, ein Lebensgefühl, dass damit einhergeht. Dazu gehört auch die Tatsache, dass das langsame Reisen gleichzeitig auch auf nachhaltiges Reisen abzielt.
Im Kern ist damit also gemeint, dass wir den ökologischen Fussabdruck, den wir auf unseren Abenteuern rund um die Welt hinterlassen, so gering wie möglich halten. Das würde bedeuten, dass wir zum Beispiel auf das Flugzeug verzichten. Natürlich macht das nicht viel Sinn, wenn wir uns dazu entscheiden, dass die Reise nach Indien, Lateinamerika oder auf den afrikanischen Kontinent gehen soll. Da bleibt uns nichts anderes übrig, als das Flugzeug zu nehmen. Wir können aber darauf achten, dass wir vor Ort so reisen, wie es die Einheimischen auch machen. Wir greifen also auf öffentliche Verkehrsmittel zurück, mit denen wir genau so gut von einem Ort zum nächsten gelangen. Es dauert eben nur ein bisschen länger und gerade in einem Land wie Ghana zum Beispiel kann es auch gerne einmal vorkommen, dass das Tro-Tro, mit dem du eigentlich weiter fahren möchtest, noch drei Stunden wartet, bis auch der letzte Platz besetzt ist und noch fünf Hühner und vier Säcke Reis einen Platz zwischen den beinen der Fahrgäste gefunden hat. Genau das ist es, was Slow Travel ausmacht. Und genau das ist es, was viele von uns heute nicht mehr können: die Zeit Zeit sein lassen, geduldig sein und während man eben darauf wartet, dass das Tro-Tro sich in Gang setzt, die Umgebung in sich aufsaugen und alles um einen herum beobachten, ohne ständig auf die Uhr schauen zu müssen und zu denken, dass man ja noch unbedingt dieses oder jenes heute sehen möchte und man geplant hatte, um Punkt 14 Uhr zum Beispiel an den Wasserfällen zu sein.
Zeit auf Reisen
Zeit bekommt so auf Reisen eine ganz andere Bedeutung, als sie es zu Hause in unserem Alltag hat. Beim Reisen verändert sich unser Zeitgefühl und irgendwann hat man das Gefühl, jeder Tag wäre ein Sonntag und man weiß eigentlich gar nicht wirklich, welches Datum heute ist. Wir wachen mit den Sonnenstrahlen auf und nicht mit dem Wecker, wir wissen, dass um 18 Uhr die Sonne untergeht und unterwegs macht es auf einmal auch gar nichts mehr, wenn besagtes Tro-Tro eben erst drei Stunden später losfährt als gedacht. Der Faktor Zeit verschiebt sich langsam und stetig und wird immer unbedeutender, bis wir die zeit irgendwann einfach völlig ausser Acht lassen. Je länger wir uns also an einem Ort befinden, desto mehr lernen wir, wie die Uhren dort ticken und welche Bedeutung Zeit dort eigentlich hat.
Natürlich muss man sich auch als Weltenbummler, der nach dem Slow Travel Motto reist, ab und zu an Zeiten halten. Gerade wenn es darum geht, deinen Flug nicht zu verpassen oder den Zug, der dich von A nach B bringen soll, zu bekommen, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Zeit im Blick zu haben. Dabei kann es zwar passieren, dass der Zug doch nicht zur angegebenen Zeit abfährt, sondern erst eine Stunde später oder am nächsten Tag, du solltest aber trotzdem pünktlich sein.
Daneben gibt es noch einen weiteren Zeitfaktor, der uns auf Reisen fast immer im Nacken sitzt. Zumindest dann, wenn ein Rückflug oder ein Weiterflug geplant ist. Die sogenannte Rückkehruhr. Auf all den Reisen, die ich bisher gemacht habe, kam die immer gleiche Frage auf. Als ich 2008 das erste Mal in Ghana war wurde ich nach einer kurzen Vorstellungsrunde fast immer direkt danach gefragt, wie lange ich denn bleiben würde. Antwortete ich dann mit "vier Monate" wurden die Augen oft groß und es hieß nur "oh jeh, da überlebst du uns ja alle". Im Nachhinein finde ich es irgendwie erschreckend, welch hohen Stellenwert die Zeit auf Reisen da immer noch bekommt und dass ich selbst im Grunde nicht anders war oder bin. Jedes Mal, wenn jemand neues in unser Haus eingezogen war, wurde direkt die Frage danach gestellt, wie lange der- oder diejenige denn überhaupt bleibt.
Was bedeutet Zeit auf Reisen für mich?
Wenn ich genauer darüber nachdenke, war ich schon immer eher der Typ Mensch, der es lieber mochte, wirklich in ein Land und seine Kultur eintauchen zu können. Dabei war es mir gar nicht so wichtig, sämtliche Sehenswürdigkeiten, die mir empfohlen wurden, anzuschauen. Abgesehen von der Woche Ski fahren jedes Jahr, die eben wirklich immer nur eine Woche ist, kann ich mich einfach besser auf meine neue Umgebung einlassen, wenn ich längere Zeit an einem Ort beziehungsweise in einem einzigen Land verbringen kann. Ich habe so viel eher das Gefühl, das Land wirklich zu erleben und es eben nicht nur mal kurz gesehen zu haben. Auf Reisen nehme ich mir die Freiheit, eine Stadt länger zu erkunden, statt direkt nach einem oder zwei Tagen weiterzuziehen. Accra, die Hauptstadt Ghanas, ist so eine Stadt. Zwar lebe ich, wenn ich in dem westafrikanischen Land bin, immer in Accra und habe so oft die Gelegenheit, auch abgelegene Ecken der Metropole zu erkunden, aber trotz der vielen Tage, die ich bereits in dieser Stadt gelebt habe, habe ich noch längst nicht alles erkundet und es gibt noch so viel mehr zu sehen. Würde ich direkt weiter reisen hätte ich gar nicht die Möglichkeit, irgendetwas anderes als die typischen Touristenattraktionen zu besuchen. So nehme ich mir lieber die Zeit und lasse alles langsam auf mich wirken.
Dazu gehört für mich auch, dass ich zum Beispiel in Ghana wie gesagt per Tro-Tro oder mit den größeren Bussen reise. So bekomme ich das richtige Leben der Ghanaer mit, komme leichter mit Einheimischen ins Gespräch und bekomme viel mehr Einblicke in die Kultur. Steige ich in Accra ins Flugzeug, um nach Kumasi zu fliegen, ist das nicht der Fall, da das Dazwischen praktisch komplett fehlt. Ich sehe weder, wie sich die Landschaft verändert, noch, wie sich die Lebensweisen in den verschiedenen Regionen des Landes mit jedem Kilometer, den ich auf dem Landweg zurücklege, verändert. So macht es mir nichts aus, wenn ich nicht so schnell von A nach B komme, da ich im Gegensatz dazu einfach bewusster und intensiver reisen kann.
Als Slow Traveller habe ich nach der Reise, wenn ich zurück in der Heimat bin, viel mehr Geschichten zu erzählen. Zwar kann ich auch Geschichten darüber erzählen, welche 10-Hot-Spots ich in einer Stadt gesehen habe, aber dabei bleibt es dann auch. Beim Sehen. Die Geschichten, die ich erzählen kann, wenn ich den Moment genieße, meine Umgebung beobachte, den Gedanken freien Lauf lasse und alles in mich aufsauge, sind viel schöner, emotionaler und persönlicher als eine Abhandlung von To-Do-Listen, die ich herunter rattere. Bilder helfen da auch keine, da ich sie einfach nicht so sehr mit dem Augenblick an sich verbinde, wie es der Fall ist, wenn ich meine Umgebung über einen längeren Zeitraum mit allen Sinnen erlebe. Und für die Geschichtenzuhörer daheim, denen ich von meinen Erlebnissen berichte, ist es viel schöner, wenn sie persönliche Geschichten hören, die mit Emotionen erzählt werden, wie wenn sie eine Abhandlung hören, mit der sie überhaupt nichts anfangen können, da sie so einfach keine Vorstellung davon bekommen, wie der Moment, über den ich gerade erzähle, wirklich war.
Blogparade
Nicht nur ich habe mich in letzter Zeit immer mehr mit dem Thema Slow Travel beschäftigt, was nicht zuletzt auch an Dan Kierans Buch Slow Travel liegt. In der bunten Welt der Reiseblogger gibt es immer mehr, die sich mit dem Thema auseinandersetzen und deren Reisen sich verändern. Weg vom Listen abhaken hin zur Kunst, sich wieder auf die Reise an sich zu konzentrieren. John und Marc haben sich ebenfalls ihre Gedanken zum langsamen Reisen gemacht und auf ihrem Blog 1 Thing To Do die Blogparade Slow Travel: Wider den To-Do-Listen! gestartet.
Zeit auf Reisen - was bedeutet das eigentlich für dich? Hinterlasse mir dazu gerne einen Kommentar und teile deine Gedanken mit mir.
Hallo Wibke,
AntwortenLöschenDas ist ein sehr interessanter Artikel. Es ist schön viel Zeit für Reisen verwenden zu können. Unser gesellschaftliches Leben gestattet das nur wenigen. Die Menschen müssen zu viel, zu schnell und für zu wenig Geld arbeiten. Slow Travel, wie du ihn beschreibst, ist da kaum möglich.
Es ist aber eine Tatsache, das längeres Verweilen erst eine Reise zu einer Reise werden lässt. Kurzweiligkeit sammelt Informationen, Verweilen heißt auseinandersetzen mit den Menschen, der Umwelt, der Gesellschaft und letztendlich etwas lernen, etwas begreifen.
Slow Travel kann ab dem dritten Reisetag beginnen, wenn wir es zulassen. Das liegt aber an uns selbst. In Ländern, wie Ghana ist Slow Travel eine Lebensphilosophie, weil die Schnelligkeit des Kapitalkreislaufes diese Menschen noch nicht erreicht hat. Deswegen ist es einfach, in diesen Ländern langsam zu reisen. Ich erinnere mich an man schon lange verblichenes Studium. Da erzählte uns ein Dozent, wie ein äthiopischer Student von unserer Eisenbahn begeistert ist. Da fährt ein Zug 06:07 Uhr, unvorstellbar. Bei uns zuhause heißt es, morgen Abend zum Sonnenuntergang soll ein Zug kommen. Das Studium ist 30 Jahre her.
Viele grüße aus dem Hamsterrad
Peter
Hallo Peter,
Löschenda stimme ich dir zu. Es haben nicht viele die Möglichkeit, langsam zu reisen und in dem Fall wird Slow Travel dann natürlich auch etwas schwieriger. Das Schöne am langsamen Reisen ist ja aber, dass man nicht gezwungenermaßen mehrere Wochen oder gar Monate unterwegs sein muss, auch auf kürzeren Reisen kann es möglich sein, langsam zu reisen. Ich glaube, das hängt dann einfach mit der eigenen Einstellung zusammen. Möchte ich so viel wie möglich sehen und erleben,lässt sich Slow Travel natürlich weniger bzw. schwieriger realisieren wie wenn ich mir die Zeit nehme, auch tatsächlich in meine Umgebung einzutauchen. Dann reichen mitunter auch schon drei Tage.
Es ist übrigens ein schönes Beispiel, das du da genannt hast, das auch zeigt, was Slow Travel sein kann. Ich finde ja, dass es viel schöner klingt, wenn es heißt "morgen Abend zum Sonnenuntergang soll ein Zug kommen", statt "morgen Abend um 20.05h kommt der Zug."
Danke dir für deine Gedanken dazu und viele Grüße zurück ins Hamsterrad,
Wibke
Hallo Wibke – auch an dieser Stelle noch mal vielen Dank für deine Teilnahme an unserer Blogparade!
AntwortenLöschenWir glauben übrigens, dass man am Ende auch langsam reisen kann, wenn man nicht mehrere Wochen zur Verfügung hat. Slow Travel ist wohl auch eine Frage der Einstellung... Auch wenn sich Slow Travel und ein vollgepackter Wochenendtrip natürlich schon irgendwie widersprechen, kann man sich bei mehreren Reisetagen durchaus treiben lassen und dabei Vieles erleben – und vielleicht eines Tages zurückkehren und da weiter machen, wo man aufgehört hat. :)
Liebe Grüße
John & Marc
Hallo ihr beiden,
LöschenSlow Travel ist wohl wirklich auch eine Frage der Einstellung. Für die einen ist es realisierbar und sie reisen wirklich langsam, die anderen setzen es vielleicht nur teilweise um, wieder andere sind gar nicht die Typen für Slow Travel und dann gibt es tatsächlich noch die, die sich auch bei einem Wochenendtrip durch die Stadt treiben lassen, irgendwann wieder zurück kommen und sich eben weiter treiben lassen. Obwohl ich glaube, dass das in den seltensten Fällen passiert.
Liebe Grüße,
Wibke
Hey Wibke,
AntwortenLöschenein wirklich schöner Artikel. Genauso ist es. Ich liebe es mit den Verkehrsmitteln der Einheimischen unterwegs zu sein. Und finde "Programmpunkte" schrecklich. Vorgegebene Reisen mit Tagesplanungen, so eine Art des Reisens kann ich mir nicht vorstellen. Wobei ich mich oft ertappe, dass ich das Gefühl habe etwas zu verpassen. Ich will alles sehen und erleben und muss mich dabei bremsen. Denn dann artet das Reisen in Stress aus und man verpasst die wirklich schönen Momente.
Übrigens, das Buch "Slow Travel" lese ich auch gerade. ;) Ich bin fast durch und überall habe ich Notizen reingekritzelt. Für später, um mich daran zu erinnern, was Reisen eben ausmacht.
Lieben Gruß
Elisa
Hi Elisa,
Löschenoh ja, es gibt nichts furchtbareres als diese Programmpunkte. Gerade dann klappert man einfach eins nach dem anderen ab und am Ende des Tages war man zwar z.B in der zwanzigsten Kirche, weiß aber eigentlich gar nicht mehr, welche nun welche war.
Das Buch "Slow Travel" fand ich auch richtig gut und meins ist ebenfalls voll mit Notizen und Klebestreifen bzw Zetteln.
Liebe Grüße,
Wibke
ein sehr schöner Text und im Grunde hast du absolut recht, dass man sich mehr Zeit lassen sollte, wenn man ein Land erkundet
AntwortenLöschenmein Problem ist dabei immer, dass ich nie so lange frei habe bzw. je nachdem in welchem Land man reist ist eine längere Reise auch immer um einiges teurer, aber ich versuche schon der Umwelt zuliebe so oft es geht aufs Flugzeug zu verzichten
lg
Liebe Melli,
Löschenwenn man nur eine begrenzte Anzahl an freien Tagen im Jahr hat lässt sich Slow Travel natürlich nicht ganz so einfach realisieren, wie wenn man unbegrenzt Zeit zum Reisen hat. Aber ich glaube, dass es selbst mit 30 Urlaubstagen möglich ist bzw. möglich sein kann, langsam zu reisen. Das muss dann auch nicht unbedingt teuer sein und kommt darauf an, wie man reist und ob man auf Reisen z.B sehr viel Wert auf Luxus etc legt.
Klar ist es für die Umwelt auch besser, mal auf das Flugzeug zu verzichten, aber je nachdem, wohin die Reise geht, bleibt einem fast nichts anderes übrig, als das Flugzeug zu nehmen.
Viele Grüße,
Wibke